Das juristische Staatsexamen ist bekanntermaßen eine schwere Prüfung. Einmal kann man durchfallen, beim zweiten Mal ist es dann das endgültige aus. Beim ersten Staatsexamen gibt es, wenn man besonders schnell studiert, noch einmal einen dritten Versuch. Ob man dazu dann die Nerven hat, ist eine ganz andere Frage. Beim zweiten Staatsexamen hat man jedenfalls nur zwei Versuche. Ist man beide Male durchgefallen, ist das das endgültige KO.
Spannend wurde es bei einem Fall aus Nordrhein-Westfalen. Es ging um das erste Staatsexamen. Der Kandidat ist bereits einmal durchgefallen. Er hatte keinen dritten Versuch. Es wäre für ihn diesmal das Ende gewesen.
Das Examen wurde nun geschrieben und auch bestanden. Allerdings kam dem Justizprüfungsamt dann folgender Zweifel auf: Hatte hier möglichweise der Zwillingsbruder des Kandidaten die Klausuren geschrieben?
Wenn das so wäre, wäre es ein Täuschungsversuch. Dann gilt das Examen natürlich als nicht bestanden.
Mit dem Zwillingsbruder wurde es insoweit interessant, als die Personalien der Kandidaten bei Eintritt in den Prüfungssaal überprüft werden. Mit dem Zwillingsbruder hätte es allerdings auch gut klappen können.
Nachdem hier also Zweifel aufkamen, wurde vom Prüfungsamt ein Sachverständiger hinzugezogen. Er hat Schriftproben beider Brüder ausgewertet. Dazu wurden die abgegebenen handschriftlichen Klausuren mit in die Bewertung eingezogen.
Das Ergebnis des Gutachters: Keiner von beiden hatte die Klausuren geschrieben!
Der Examenskandidat ging vor Gericht. Vor dem Verwaltungsgericht hatte er verloren. Man glaubte dem Gutachter. Also ging es weiter in die nächste Instanz. Das Oberverwaltungsgericht entschied jedoch zugunsten des Kandidaten. Als Grund gab es an, ein Täuschungsversuch sei nicht bewiesen. Das Gutachten, wonach angeblich keiner der beiden Brüder die Klausuren geschrieben habe, wurde als nicht plausibel gewertet. Immerhin wird die Identität der Prüflinge an jedem Klausurentag anhand der schriftlichen Ladung und der Ausweisdokumente überprüft. Ansonsten hatte es keinerlei Anhaltspunkt dafür gegeben, dass der jetzige Kandidat nicht der Examenskandidat gewesen ist, der geschrieben hat. Das Prüfungsamt konnte also nicht beweisen, dass es ein anderer als der klagende Examenskandidat war, der die Klausuren geschrieben hat. Eine solche Beweisnot geht nach der Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts zu Lasten des Prüfungsamts. Ergebnis war also, dass der Examenskandidat bestanden hat.
Das Ganze ging dann noch einmal einen Stock höher zum Bundesverwaltungsgericht. Aber auch dieses folgte dem Oberverwaltungsgericht. Es hat es ausreichen lassen, dass das Oberverwaltungsgericht von dem Gutachten eben einfach nicht überzeugt war. Tja, die ganzen Gerichtsverfahren haben nun rund 5 Jahre gedauert. Am Ende hat es sich für den Kandidaten aber doch gelohnt dranzubleiben. Das war gleich die erste Lektion für sein weiteres juristisches Berufsleben.
Advosolve Fachanwaltskanzlei, 26.02.2024
Mannheim, Karlsruhe, Heidelberg, Frankfurt